Strafe als Ultima Ratio?

von Dr. Christian Naundorf

Am 16. April 2015 hob das Bundesverfassungsgericht die Strafnorm im Rindfleischetikettierungsgesetz als verfassungswidrig auf. Grund: durch die Hin- und Her-Verweisung zwischen deutschem Gesetz, Rechtsakten der Europäischen Union und deutscher Verordnung habe der parlamentarische Gesetzgeber die Strafgewalt praktisch aus der Hand gegeben; was nicht sein darf. Den Fall nahmen Wirtschaftsstrafrechtler zum Anlass, wieder einmal in die Kerbe zu hauen, es werde ohnehin viel zu viel Strafe angedroht - auch dort, wo das offensichtlich deplaciert sei. Strafe sei "Ultima Ratio" und deswegen ihre Androhung auf einen "Kernbereich" zu beschränken.

Da dieser Latinismus ein ziemliches Modewort der Rechtsprechung geworden ist, geht Dr. Naundorf dem einmal nach. Weder ist Strafe zwangsläufig die "härteste" Folge einer Rechtsverletzung, noch wäre es sinnvoll, nur dann mit ihr zu drohen, wenn "sonst nichts hilft". Und dass die Großunternehmen unter dem Schirmchen eines frei erfundenen "Verfassungsprinzips" ungestraft sollen machen können, was sie wollen, kann schon gar nicht sein. Erst recht unangebracht das "hö hö - nein, wie kann man nur jemanden wegen so etwas Banalem wie Rindfleischetikettierung bestrafen wollen!" - denn eingeführt wurde sie, wie Dr. Naundorf offenbar erst in Erinnerung rufen muss, nachdem in Europa 229 Menschen gestorben waren; nach heutiger Einsicht wegen Verzehrs BSE-verseuchten Rindfleisches.

 

Naundorf, Dr. Christian: Strafe als Ultima Ratio? Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 11/2017, S. 14